Roman Zech Gedanken auf Reisen.

밤의 유흥 // Leben in der Nacht

Die Zeit vergeht schnell in Korea. So schnell, dass bei öffentlichen Digitaluhren gerne mal noch die 10-tel Sekunden angegeben werden. Noch rund vier Wochen bleiben mir das Land kennenzulernen. Korea, ein Land voller Stadt, Unterhaltung und Nachtleben. Ein Post über das Leben und die Gesellschaft in Korea.

밤의 유흥 (bam’ui yuu’heung, nightlife, Nachtleben oder Nachtunterhaltung)

Grandma’s Place

Ich sitze beim Abendessen im Hinterhofquartier von Wangsimni. „Grandma’s“ nennen wir Austauschstudenten die billige Beiz liebevoll. 4’000 Won (3.50 Franken) kostet ein Menü, unlimitierte Nebengerichte inklusive. Ausnahmsweise bin ich alleine da. Den Besitzer wundert’s: „Only you? – Jin’gu opso!? (Nur du? – Ohne Freunde?!)“. Er lacht, seine Mutter, die Chefköchin, auch. Wir kennen uns seit dem ersten Abend in Korea.

Vor dem Fenster beginnt das koreanische Nachtleben. Grell blinkend, laut lachend, KPop füllt die Strassen. Aufregend! Die vielen Eindrücke machen mich schnell müde. Immer noch. Nach Monaten in dieser Welt, wo es tagsüber eher ruhig und schläfrig zugeht, ab so 8 Uhr abends, dann aber richtig gelebt wird. Jetzt, mit ein paar Zusammenhänge mehr im Gepäck, wirkt das ganz normal und erklärbar.

Korea, ich beschreibe es auch liebevoll „Das Amerika Asiens mit einer Prise Kultur aus allen Kriegen und mit Konfuzius im Kern“.

Konfuzius bestimmt das gesellschaftliche Zusammenleben, den Umgang und die Familie. Das Alter und der Name haben hier den gleichen Stellenwert. Entsprechend genau können die meisten auch das Alter schätzen – auch meins. Auf 23-25 Jahre schätzen mich die meisten. 24 wäre richtig. Koreanische Zählweise wohlbemerkt.

Die Kultur ist eine eigene. Mit Stolz wird von verschiedenen Dynastienen und eigener Architektur gesprochen. Die zahlreichen Kriege haben aber einige Spuren hinterlassen. Am besten sieht man das an der Sprache: Neben dem eigenen Wort für „Raum“ (방, bang) wird auch das chinesische Wort (실, sil) benutzt. Gewisse japanische Zeichen werden als Abkürzungen z.b. für Grössen und „emergency exit“ verwendet. (Soweit ich dies als Korean Sprachschüler Level 1 erkennen kann.)

Zuletzt hatte in der jüngsten Vergangenheit Amerika einen grossen Einfluss: Rechtssystem, Strassenregeln, Sprache (Konglish) und Schulnoten. Es wirkt wie ein Gerüst, das dem schnellen Wachstum etwas die Richtung weist, wenn auch etwas übergestülpt. Es schaut manchmal so aus, als könne man sich nicht richtig entscheiden, wie damit umgegangen werden soll.
Zum Beispiel sind klassische KPop-Groups zwischen 16 (sic!) und 25 Jahre alt. Sie erinnern mich an einen Mix aus DJ Bobo’s Tanzeinlagen, One Direction und Tokio Hotel, einfach mit kurzen Röckchen statt tiefem Ausschnitt und weniger Sexappeal in den Videoclips.

Um wieder zum eigentlichen Thema „Nachtleben & Gesellschaft“ zurückzukehren, hier ein schmackhaftes Beispiel von 여자친구 (Yoo’ja’jin’gu – girlfriend):

An diesem Punkt habe ich wahrscheinlich die meisten männlichen Leser an den Youtube-Channel von Girlfriend verloren … Für alle übrig gebliebenen hier meine westliche Ansicht auf das koreanische Nachtleben:

Für viele hier scheint das Nachtleben eine Art Fluchtort zu sein. In von Soju aufgeheiterten Partynächten, wird gerne die Müdigkeit hinter einer Fassade von Make-up überspielt und Zukunftssorgen vergessen. – Und nein, mit Zukunftssorgen ist nicht das SäbelBombenrasseln von Nordkorea gemeint.

Ein extremer Druck lastet auf jungen Schultern. Es wächst in Korea eine gesamte Generation heran, deren Uniabschlüsse und gute Noten inflazionären Charakter haben. Gut zu sein, ist nur noch okay. Zu den besten muss man gehören, um etwas zu erreichen. Auch weil nirgends ein so grosser Anteil der Bevölkerung studiert wie in Korea.

Diese Abschlüsse kosten viel. Geld, dass aus Familienschulden kommt und auf direktem Weg an die zahlreichen Universitäten fliesst. Nach Abschluss einen guten Job zu finden, ist darum für die Finanzen der ganzen Familie wichtig.

Kaum ist auch das Gerangel um die guten Jobs in den 재벌 (chae’bol, grosse Conglomeratskonzerne in Korea) beendet, geht es rastlos im Arbeitsleben weiter. Wenig Ferien (max. 2 Wochen pro Jahr) und lange Stunden im Büro (mind. 60-70 Stunden pro Woche, 6 Tage die Woche). Jammern & Reformen? – Beides ist verpönt, letzteres schaut meistens auf dem Papier gut aus.

Nach der Arbeit oder einem langen Tag an der Uni eins (oder mehr) mit den Kollegen trinken zu gehen, halte ich deshalb für selbstverständlich. Ablenkung ist wichtig, wenn auch sehr alkoholgeprägt. Jedem skandinavischen Präventionspolitiker würden die Haare ausfallen, wenn er wüsste, dass hier ein Vollrausch um 6’000 Won (5 Franken) kostet …

Mit einer solchen Gesellschaft zu leben, die bis frühmorgens freudig lachend Soju-Shots kippt und tagsüber fast einschläft, ist faszinierend. Jeden Tag, auch nach Monaten hier!
Auch wenn es mir als Student (und vielleicht auch arbeitenden Expats) schwer fällt mit diesem Lebensrhythmus mitzuhalten, ist diese Art der aktuellen Kultur extrem spannend. Schräge Öffnungszeiten, zahlreiche Unterhaltungsmöglichkeiten und merkwürdige Produkte, machen das Leben hier zu einem Erlebnis (siehe Fotos).

Fried Chicken gefällig? – Aber erst nach 16 Uhr …
Überall schlafende Leute.
Ich diesem Fall auch ich 😉
Eine augenwärmende Schlafmaske,
um Augenringen vorzubeugen.

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