Roman Zech Gedanken auf Reisen.

Im Ernstfall doch digital

I

„Im Krieg gegen Corona“ – solche Schlagzeilen haben einige nicht nur wortlos gesagt, sondern direkt auch die Armee mobilisiert. Eine Erfahrung aus diesem Krieg, der eigentlich keiner ist, und warum militärische Führungsstrukturen nicht zur Pandemie passen.

Zivilschutz Tächlichape auf Tastatur - Digitalisierung im Zivilschutz durch Corona

Als ich anfangs März für den April im Zivilschutz mobilisiert wurde, dachte ich noch nicht an eine weltweite Pandemie. Einen Monat später, 2 Wochen Optimismus wahren im Home Office und minus 30% im Aktienportfolio später ist die Krise auch bei mir angekommen – oder eben umgekehrt: Ich für die Krise im Zivilschutz.

Das ständige Üben für den Ernstfall erwies sich in der ersten Stunde als nützlich: Mit gekonntem Griff in eine überdimensionierte Hosentasche am grün/orangen Overall hatte ich mich ruck-zuck in rund einer Stunde in alle 3 Lage-Tools eingeloggt und war ready. Ready – für was eigentlich?
Logisch, auch aus dem zweiwöchigen Grundkurs und aus den jährlichen Übungen hatten wir noch mehr für den „Ernstfall“ gelernt. Komplizierte Abläufe mit starker, aber undurchsichtiger steiler Hierarchie, die ans Militär angelehnt ist. Entsprechend viele Stäbe und Abkürzungen für irgendwelche Positionen und Ränge bringt das mit sich.
Auch viel Papier ist mir geblieben. Schliesslich müssen stehts die vielen Entscheider (hier ist bewusst auf die weibliche Form verzichtet worden) gut informieren können, an der Lagewand oder an der Infowand, deren Unterschiede ich heute noch mit Fragezeichen guttiere.
Der aufmerksame Nussgipfel-Kenner merkt beim Lesen: Ich bin Stabsassistent im Lagezentrum. Soldat.

Wohlwissend, dass die gute Lagewand in der Übung immer betont wurde, hatte ich nach nur 2 Tagen eine schöne Darstellung beisammen. Natürlich anders als meine Kollegen in der Vorwoche, schliesslich hat jeder seine Vorlieben – auch das ist aus den Übungen bekannt.
Aber es war verdächtig ruhig. Im Übungsmodus läutet immer mal wieder eine Telefon für eine „Schlüsselmeldung“ die den Weltuntergang vorhersagt oder der Zivilschützler im Nebenraum vermeldet per Funkgerät fehlende Kaffeekapseln und wird (ebenfalls via Funk) ins Zimmer der Regie bestellt für einen ZS. Hint: ZS steht hier nicht für Zivilschutz.
Auch die ständigen Rapporte aus den Übungen blieben aus. Jeder schaute einfach kurz rein, wenn er nicht gerade besseres zu tun hatte, bellte etwas à la „Das muss …“, „Hier noch …“, „Nein, völlig falsch so“ – halt was die Feedbackkultur in einer Militärhierarchie zulässt.

Bereits zu diesem Zeitpunkt war ich etwas verblüfft über den schlechten Datenstand. Denn ständig werden in den Medien die neusten Zahlen publiziert, da müsste doch eine Zivilschutz-Organisation bestens über Kranke, Tote, Infizierte Bescheid wissen. Auch weil vor mir schon 2 Wochen andere Zivilschützler das gleiche taten wie ich.
Eher aus Langeweile begann ist also Zahlen zu studieren. John Hopkins, ECDC, BAG, Amt für Statistik etc. Und besonders interessant: Ein interner Bericht der Armee, welcher täglich die Bettenkapazitäten der Spitäler misst. „Eh alles falsch“, ich solle das nicht zu sehr beachten, wies mich ein halb-hoher an. Schwammig hatte ich noch in Erinnerung, dass wir bei der letzen Übung die halbe Nacht bei Bier über Verschwörungstheorien geredet hatten.

Als am dritten Tag plötzlich die schon fast auf sicher geglaubten 200 Intensiv-Betten des Kantons im Armee-Report auf 70 korrigiert wurden, war mein Ehrgeiz geweckt. Schliesslich sind solche Sprünge weder lustig, noch beruhigend. Erst recht dann, wenn die 70 (es sind nicht 200) Betten alle belegt sind und 50 km weiter südlich eine Knappheit an Betten mit entsprechend vielen Toten verkündet wird.

Mit toller Unterstützung vom Typen aus der letzten Nachtübung fanden wir einen Informatiker, welcher uns half in der prozessträgen-IT-Welt eines Kantons über die nächsten 4 Tage eine simple Erfassungsmaske auf einer Webseite aufzusetzen, worin die Spital-Direktion täglich ihre Krisen-Werte erfasst und uns das telefonieren ersparte – den hohen das spekulieren und wilde entscheiden.
Böse Zungen wurden sogar sagen, etwa 2/3 aller Zivilschützer verloren dadurch ihren EO und die 850’000 bewilligten Einsatztage dieses Jahr würden gar nie ausgeschöpft. Etwas positiver formuliert: Die Digitalisierung hielt durch Corona Einzug in den Zivilschutz.

Mit einigen geschickten Überlegungen stellten wir Fragen mit dem Gesundheitsdepartement zusammen, sodass die Umfrage schon im Testrun mit „nur“ 4 Spitälern (der über 10 im Kanton) neue Insights gab und entsprechend Emotionen auslöste.
Einen Tag später war die Anfrage für 5 weitere ähnliche Formulare für andere Anspruchsgruppen da, zwei Tage später sogar der Kommandant überzeugt. (Trotz des Widerstands haben wir einfach mal angefangen zu bauen – Zeit war ja da.)
Heute, am vorläufig letzten Tag meines Einsatzes und 4 Entwicklertage später, steht auch ein simples Dashboard, dass wohl 90% aller Informationsbedürfnisse abdeckt und intern breit zugänglich ist.

Es ist schön, einen solchen Beitrag leisten zu können. In kurzer Zeit mit einem pseudo-automatisiertem und halb-digitalen Tool einen Mehrwert zu generieren. Einer den direkt niemanden wirklich sieht, aber ein gutes Krisenmanagement überhaupt erst möglich macht.

Ok, von Krisen-Management zu sprechen, ist vielleicht falsch. Denn noch versuchen einige im Hintergrund durch „potentes Auftreten“ die Pandemie anzugehen. Das würde bei Mangel an Technologie und für schnelle Entscheidungen im Kriegsfall vielleicht hilft. Jedoch nicht in einer Pandemie, wo richtiges Tun, transparentes informieren und Entscheiden auf Fakten Pflicht ist.

Perfekt! „Die Krise kann kommen!“, hätte ich jetzt fast gesagt. Das soll sie besser nicht.

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von Roman Zech
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